PRO BAHN zieht erste Bilanz des 9-Euro-Tickets
Hannover, 19.06.2022
Der Fahrgastverband PRO BAHN Niedersachsen/Bremen zieht eine erste Zwischenbilanz des 9-Euro-Tickets im Nordwesten. Sie fällt trotz einiger Widrigkeiten positiv aus, denn die günstige, bundesweit gültige Monatskarte wurde sehr gut angekommen und hat zu erheblichen Zuwächsen der Fahrgastzahlen geführt – nicht nur auf den erwarteten Haupt-, sondern auch auf vielen Nebenstrecken. Viele Menschen, die sonst nicht mit Bus und Bahn gefahren wären, konnten dadurch wieder für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gewonnen werden.
Gleichzeitig ist das befürchtete Chaos ausgeblieben, auch wenn es in Einzelfällen bedauerlicherweise zu Zugausfällen und Polizeieinsätzen kam. Generell lässt sich sagen, dass die Züge auch an besonders aufkommensstarken Tagen, etwa über Pfingsten und zum Niedersachsentag in Hannover, zwar sehr voll, aber nur selten überfüllt waren. Daher überwiegt insgesamt das Positive an der Einführung des 9-Euro-Tickets. Für die kommenden Wochen geht PRO BAHN von einer weiterhin hohen Nachfrage aus, verstärkt auch unter der Woche, da in wenigen Tagen in den ersten Ländern die Sommerferien beginnen.
Um die noch bestehenden Probleme abzustellen, wünscht PRO BAHN sich einige kurzfristige Verbesserungen. Dazu gehören folgende dringenden Maßnahmen:
▪ Beschaffung und Einsatz weiterer Zugeinheiten für zusätzliche Verstärkungszüge (wie in Sachsen-
Anhalt geschehen)
▪ Abschluss einer finanziellen Vereinbarung zur Freigabe der IC-Züge zwischen Bremen, Oldenburg,
Emden und Norddeich zwischen dem Land Niedersachsen und DB Fernverkehr
▪ Verhinderung überfüllter Bahnsteige und bessere Lenkung der aus- und einsteigenden Fahrgäste zu
Spitzenzeiten insbesondere in Hamburg Hbf durch zusätzliches Bahnpersonal und Sicherheitskräfte
▪ Verbesserungen im baustellenbedingt stark eingeschränkten Betrieb zwischen Lüneburg und Hamburg
PRO BAHN fordert zudem für die Zeit nach dem Ticket, auf den bisherigen Erkenntnissen aufzubauen. „Wir haben durch das 9-Euro-Ticket gesehen, dass das Fahrgastpotential zuvor bei weitem nicht ausgeschöpft wurde“, sagt dazu Landesvorsitzender Malte Diehl. „Es zeigt sich, dass der Schlüssel zur Nutzung des ÖPNV einerseits in einem guten Verkehrsangebot liegt, andererseits aber auch in leicht verständlichen, konkurrenzfähigen Tarifen. Leider ist beides in Niedersachsen und Bremen oft nicht gegeben.“
Die Landesregierungen in Niedersachsen und Bremen als Verantwortliche für den Regionalverkehr in beiden Ländern sind aus Sicht von PRO BAHN nun in der Pflicht, das ÖPNV-Angebot deutlich stärker und schneller zu verbessern als dies geplant ist. So fahren selbst auf vielen Hauptstrecken die Regionalzüge immer noch nur im Stundentakt oder sogar seltener, etwa zwischen Bremen und Hannover, was deren Nutzung inflexibel und unattraktiv macht. Lange Wartezeiten und schlechte Anschlüsse sind die Regel. Außerhalb von Großstädten ist auch der Busverkehr oftmals abgesehen von Schulzeiten nicht vorhanden. Viele Menschen können daher gar nicht vom 9-Euro-Ticket profitieren, weil sie gar keinen brauchbaren Zugang zu Bus und Bahn haben.
Schließlich schreckt ein Wirrwarr verschiedenster Tarife potenzielle Fahrgäste oft ab. Allein in Niedersachsen gelten sechs verschiedene Tarifverbünde, dazu noch der Haustarif der Deutschen Bahn und der Niedersachsentarif, im Zugverkehr. Für Busse muss oft genug sogar eine eigene Fahrkarte gelöst werden. Zudem sind die Tarife in den letzten 20 Jahren doppelt so stark gestiegen wie die Kosten für die Pkw-Nutzung. Gerade bei Gelegenheitsfahrern macht sich das negativ bemerkbar.
„Wer zu zweit beispielsweise von Oldenburg nach Bremen und zurück fährt, zahlt ohne Ermäßigung mindestens 29 Euro für 90 Kilometer. Das ist unattraktiv; selbst bei den hohen Spritpreisen sind die meisten Autos hier im Vorteil“, erläutert Diehl das Problem und ergänzt: „Das für bessere Angebote und Tarife nötige Geld muss zeitnah bereitgestellt werden. Hier sind Niedersachsen und Bremen in der Pflicht. Ein Teil davon könnte auch beim klimaschädlichen, immer noch umfangreichen Neu- und Ausbau von Landesstraßen eingespart werden. Ebenso könnte man den unsinnigen, nur der Mineralölwirtschaft nützenden Tankrabatt sofort einstellen und das eingesparte Geld dem ÖPNV zuteilen. Darüber hinaus müssen Bund und Länder jetzt an ein attraktives und dauerhaftes Folgeangebot für die Zeit nach dem 9€-Ticket denken, das durchaus mehr kosten darf, aber den Grundgedanken weiterführt.