Die in den vergangenen Tagen bekanntgewordene Vertagung des Baus einer Neubaustrecke Hamburg – Hannover sowie die mutwillige Verschleppung der dringend nötigen Arbeiten im Rahmen der Generalsanierung von 2026 auf 2029 sind ein Desaster für Millionen Fahrgäste, die direkt und indirekt davon betroffen sind. Mindestens sechs Jahre lang wird jegliche Verbesserung auf dieser stark überlasteten Bahnstrecke nun auf sich warten lassen; echte Entlastung durch neue Gleise wird es erst in ferner Zukunft geben – wenn überhaupt. Das Angebot in Nah- und Fernverkehr wird sich lange Zeit nicht verbessern, dafür aber Störungen und Verspätungen an der Tagesordnung bleiben, auch auf anderen Bahnstrecken, die mit Hamburg – Hannover in Wechselwirkung stehen. Deutschlandtakt und Verkehrswende rücken in weite Ferne.
Der Fahrgastverband PRO BAHN listet am Ende dieser Mitteilung auf, welche Verbesserungen des Bahnverkehrs nun nicht kommen können und mit welchen Problemen Pendler und andere Reisende weiterhin leben müssen. Dafür können und sollten sie sich lautstark bei der niedersächsischen Landespolitik bedanken.
Malte Diehl, Landesvorsitzender von PRO BAHN, erklärt dazu: „Die jetzige Verschleppung ist vollkommen unnötig; die Bahn hat die Vorplanung für einen Neubau weitgehend abgeschlossen und nachgewiesen, dass der Neubau weitaus weniger ökologische Probleme verursacht, als Kritiker befürchten. Stattdessen will die Landesregierung für das ursprüngliche Alpha-E Großbaustellen in einem Naturschutzgebiet und mitten in den Orten an der Strecke von Lüneburg bis Uelzen durchsetzen. Es ist erwiesen, dass das für den Deutschlandtakt und den damit beabsichtigten Fahrgastzuwachs auf der Schiene nötige Angebot nur mit zwei neuen Gleisen zwischen Hamburg und Hannover möglich wird. Dies wurde nun aus erkennbar populistischen Erwägungen von Niedersachsen verhindert, da man sich lieber die Stimmen der Bürgerinitiativen bei der nächsten Wahl sichern will, als seine politischen Versprechen zur Verkehrswende umzusetzen.“
Sowohl im Koalitionsvertrag der Ampel im Bund als auch von Rot-Grün in Niedersachsen ist die Umsetzung des Deutschlandtaktes festgeschrieben. Einen funktionierenden Alternativfahrplan, der die verkehrlichen Ziele ohne Neubaustrecke erfüllt (Verdoppelung der Fahrgastzahlen und Steigerung des Marktanteils im Güterverkehr auf 25%), konnte bislang keiner der selbsternannten Experten rund um die Bürgerinitiativen vorlegen; einig war man sich nur, dass vor der eigenen Tür keine Gleise gebaut werden sollten. Besonders SPD-Chef Lars Klingbeil, der zuletzt in den Reihen der SPD-Fraktion eine Bundestagsmehrheit für einen Beschluss zur Neubaustrecke verhindert hat, trägt für den daraus resultierenden massiven Verstoß gegen diese Koalitionsvereinbarungen persönlich Verantwortung. So heißt es auf Seite 30 des niedersächsischen Vertrages: „Wir stehen hinter den Zielen des Deutschlandtaktes und werden bei seiner Umsetzung nach Kräften mitwirken.“ Angesichts des tatsächlichen Verhaltens der Landesregierung ist das eine glatte Lüge.
Verantwortung trägt aber nicht nur die rot-grüne Landesregierung, sondern auch die anderen niedersächsischen Parteien, namentlich CDU, FDP, AfD und Linke, die sich in ihrer Ablehnung seit Jahren einig sind und nicht für neue Erkenntnisse und Tatsachen zugänglich waren. Dass NABU und BUND als Umweltverbände, anders als etwa Fridays for Future, die Neubaustrecke aus Angst vor Umweltzerstörung ebenfalls ablehnen, ist höchst bedauerlich und letztlich ebenfalls kontraproduktiv. Es wird zu mehr Verkehr auf den Straßen und neuen Autobahnen beitragen; PRO BAHN hofft hier auf ein Umdenken.
Während sich die Bundesregierung die Neubaustrecke wenigstens in ferner Zukunft offenhält, setzt man im Land nun auf die sogenannte Generalsanierung als Hoffnungsträger. „Diese Hoffnungen werden enttäuscht werden“, konstatiert Diehl dazu. „Die Sanierung dient lediglich dazu, die Strecke Hamburg – Hannover wieder in einen ordnungsgemäßen, voll funktionsfähigen Zustand zu versetzen und kleinere Optimierungen wie zusätzliche Überholgleise einzubauen. Das reduziert Störungen und daraus resultierende Verspätungen, schafft aber keine nennenswerten Kapazitäten. Der Neubau eines dritten Gleises zwischen Uelzen und Lüneburg gemäß ursprünglichem Alpha-E ist rechtlich gleichbedeutend mit dem Bau einer neuen Strecke und setzt dieselben Formalitäten und ein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer als 1,0 voraus. Dies ist nicht gegeben und der Bau deswegen, aber auch allein wegen des zeitlichen Rahmens der Generalsanierung von nur sechs Monaten nicht umsetzbar.“
Welche Nachteile bringt der vorläufige Verzicht auf den Neubau nun für Fahrgäste und Wirtschaft in Niedersachsen und ganz Deutschland mit sich? PRO BAHN benennt dazu die folgenden Punkte, die verdeutlichen, wieso weitere unnötige Verzögerungen beim Neubau katastrophal sind:
- Regionalverkehr:
- Der Halbstundentakt mit Regionalexpress-Zügen über Lüneburg, Uelzen und Celle kann mangels Kapazität nicht eingeführt werden. Infolge von Überholungen durch den Fernverkehr kann auch die geplante Fahrzeitverkürzung um ca. 20-25 Minuten nicht umgesetzt werden.
- Ohne Neubaustrecke wird es keinen schnellen Regionalexpress mit Halten in Soltau, Bergen und Celle geben, der die gesamte Heide besser an die Bahn angebunden hätte.
- Zwischen Lüneburg und Hamburg, aber auch in Richtung Buchholz und Tostedt kann der Vorortverkehr mangels Kapazität nicht weiter verdichtet werden; gerade für die kleineren Zwischenhalte wird es beim unattraktiven Stundentakt bleiben. Anderswo in Deutschland ist in vergleichbaren Gegenden ein dichter Takt alle 15 oder 20 Minuten üblich.
- Zwischen Celle, Langenhagen und Hannover können keine S-Bahnen fahren und keine neuen Halte eröffnet werden; es bleibt beim unattraktiven Stundentakt mit Regionalexpress-Zügen.
- Durch die Umleitung von Güterzügen über Rotenburg-Verden ist keine Verdichtung des Regionalverkehrs zwischen Bremen und Hannover (geplanter Halbstundentakt) möglich.
- Fernverkehr:
- Der Fernverkehr kann nicht verdichtet werden. Es bleibt bei stündlichen Verbindungen Hamburg – Frankfurt und Hamburg – München. Der geplante Halbstundentakt auf allen Hauptachsen rückt in weite Ferne.
- Die Anschlüsse in Hamburg aus/in Richtung Schleswig-Holstein verschlechtern sich erheblich, weil durch die längere Fahrzeit keine Korrespondenz mit den Fernzügen aus/in Richtung Ruhrgebiet hergestellt werden kann.
- Die Sprinterzüge Hamburg – Köln können nicht über die Neubaustrecken Hamburg – Hannover und Hannover – Bielefeld fahren. Besonders der Raum Ostwestfalen-Lippe braucht dadurch bis zu 60 Minuten länger nach Hamburg als nötig, aber auch das Ruhrgebiet und Köln werden nicht in den Genuss der möglichen Fahrzeitverbesserungen von 30 – 45 Minuten kommen.
- Weil die Sprinterzüge Hamburg – Köln weiterhin über Osnabrück fahren müssen, bleibt keine Kapazität für den geplanten Fernverkehrs-Halbstundentakt Hamburg – Rhein/Ruhr über Bremen.
- Eine Verdichtung des Fernverkehrs zwischen Hannover und Bremen auf einen Halbstundentakt, wie auf Strecken dieser Bedeutung üblich, bleibt unmöglich, da dem dichten Güterverkehr dort ohne Neubaustrecke eine alternative Route fehlt. Die nordwestdeutsche Küste bleibt schlecht angebunden.
- Güterverkehr:
- Der geplante Verkehrszuwachs der Schiene von 19 auf 25 % Marktanteil kann auf der Nord-Süd-Achse nicht umgesetzt werden, weil Kapazitäten fehlen.
- Die Anbindung des Hamburger Hafens verschlechtert sich, weil die Kapazitäten nicht bedarfsgerecht ausgebaut werden. Es werden verstärkt Lkw eingesetzt.
- Mangels Kapazität müssen Güterzüge über Rotenburg – Verden und Wittenberge – Stendal umgeleitet werden. Dadurch werden andere, stark belastete Strecken entweder verstopft oder die Züge infolge des Umwegs gleich unrentabel und auf Lkw verlagert.
- Internationale Güterzüge genießen Vorrang gegenüber nationalen Zügen. Es besteht die Gefahr, dass dadurch Personenverkehr auf den Bestandsstrecken verdrängt wird.
- Sonstiges:
- Durch die verzögerte Generalsanierung wird statt bis 2026 noch mindestens bis 2029 eine miserable Betriebsqualität zwischen Hamburg und Hannover für massive Verspätungen gerade im Fernverkehr sorgen, die bis nach Süddeutschland zu spüren sind.
- Bei größeren Störungen wird weiterhin der gesamte Betrieb zwischen Hamburg und Hannover und nicht nur eine von zwei Strecken stillstehen.
Stattdessen bevorzugt das Land Niedersachsen unter dem Deckmantel einer Generalsanierung:
- Eine Großbaustelle für ein drittes Gleis quer durch das Naturschutzgebiet Ilmenauniederung
- Eine Großbaustelle im Ortskern von Deutsch Evern
- Eine Großbaustelle in den Ortskernen von Bad Bevensen und Medingen zur Errichtung eines 10 – 15 Meter hohen Dammes mitten in der Bebauung
PRO BAHN ruft daher alle Betroffenen, Fahrgäste und Wirtschaft, die auf diese Verbindung angewiesen sind, auf, sich angesichts dieser gravierenden Nachteile bei der Politik vor Ort zu melden und ihre Interessen deutlich zu artikulieren.