Verzögerungen bei Alstom: PRO BAHN fordert ausreichende Kapazitäten beim Übergangskonzept sowie neue Maßstäbe bei künftigen Fahrzeugbeschaffungen

Am 29.08.24 wurde bekannt, dass der Fahrzeughersteller Alstom zum dritten Mal die Auslieferung der neuen Triebzüge für das Expresskreuz Bremen-Niedersachsen verschieben muss. Grund seien Probleme mit der Zulassung. Nicht nur die Landesnahverkehrsgesellschaft, sondern auch der Fahrgastverband PRO BAHN ist fassungslos aufgrund dieses offensichtlichen Unvermögens, termingerecht zu liefern, und fordert Konsequenzen.

„Für die Fahrgäste ist das ein neuer Schlag ins Gesicht“, kommentiert der Landesvorsitzende von PRO BAHN, Malte Diehl, die Situation. „Es bedeutet, dass die lange ersehnten Verbesserungen weiterhin auf sich warten lassen; und niemand garantiert, dass dies die letzte Verzögerung war. Die Flügelung der Züge in Oldenburg wird bis mindestens Mitte 2026 nicht möglich sein, so dass die Direktverbindung von Hannover nach Wilhelmshaven später kommt. Die übergangsweise als Notlösung vorgesehenen Triebzüge des Typs Talent 2 bieten zudem weniger Sitzplätze als die bisherigen Doppelstockzüge. Es wird also vielerorts eng werden.“ Es muss auch hinterfragt werden, ob und inwieweit die LNVG als Besteller den Ankündigungen von Alstom während der Ausschreibung zu sehr vertraut hat.

Betroffen sind die Regionalexpress-Linien RE 1 Norddeich/Wilhelmshaven – Oldenburg – Bremen – Hannover, RE 8 Bremerhaven – Bremen – Hannover und RE 9 Bremerhaven – Bremen – Osnabrück. Neben dem Hansenetz, das Bremen, Hamburg, Hannover und Göttingen miteinander verbindet, ist das Expresskreuz das zweitgrößte RE-Netz von tragender Bedeutung in Niedersachsen und Bremen. Zwischen Bremen und Hude ist für 2026 zudem eine Vollsperrung von ca. fünf Monaten geplant, die je nach Zeitlage die Durchbindung nach Wilhelmshaven weiter verzögern könnte. Die hohe Beschleunigung der neuen Züge hätte zudem die Verspätungsanfälligkeit auf den Linien reduziert. Das bleibt nun zumindest dort, wo weiterhin die alten lokbespannten Züge eingesetzt werden, vorerst aus.

Aus dem Desaster mit der laufenden Bestellung müssen nun Konsequenzen gezogen werden:

  • Es sollten zukünftig möglichst fertig zugelassene Serien von bereits im Einsatz stehenden Zugtypen beschafft werden. Neukonstruktionen sowie aufwendige Sonderwünsche gehen in der Regel zu Lasten der Dauer von Inbetriebnahmen.
  • Bei zukünftigen Ausschreibungen sollte der hohen Wahrscheinlichkeit von Verzögerungen Rechnung getragen und hinreichend zeitlicher Puffer zwischen dem versprochenen Lieferdatum und dem Beginn des Planbetriebs eingeplant werden, wie dies etwa für die neuen batterieelektrischen Triebzüge geplant ist.
  • Die in der Vergangenheit erfolgte wiederholte Vergabe von Fahrzeugaufträgen an ein und denselben Hersteller in Niedersachsen ist nach den aktuellen Ereignissen zumindest zu hinterfragen. Etwaige Standortpolitik darf nicht zu Lasten der Fahrgäste gehen.

Mit Blick auf die nun nötige Überbrückung fordert PRO BAHN, dass die Talent-2-Triebzüge in so hinreichender Zahl eingesetzt werden, dass auch in Hauptverkehrszeiten niemand stehen muss. Damit Wilhelmshaven und Friesland schnellstmöglich besser angebunden werden können, schließt sich der Landesverband der Forderung des Regionalverbands Ems-Jade nach Einführung eines umsteigefreien Volltakts auf der Regio-S-Bahn-Linie 3 zwischen Bremen, Oldenburg und Wilhelmshaven ab kommendem Fahrplanwechsel an.

Ein Kommentar

  1. Liebe Pro Bahn-Kolleginnen und Kollegen!

    Die verspätete Auslieferung der Triebzüge für das „Expresskreuz Niedersachsen“ ist zwar unerfreulich, aber ich verstehe nicht, warum alle so überrascht sind. Die LNVG ist angeblich sogar „fassungslos“. Dabei ist doch alles wie immer.

    Der Hersteller der Züge ist Bombardier, der von Alstom geschluckt wurde. In den vergangenen Jahrzehnten ist Bombardier ausgesprochen häufig durch verspätete Lieferung störanfälliger Fahrzeuge aufgefallen. Einige Beispiele:

    Schon als die Doppelstockzüge zwischen Norddeich und Hannover erstmals eingeführt wurden, konnte Bombardier sie nicht komplett ausliefern. Es fehlten die Loks. Die Deutsche Bahn hat dann ersatzweise erst einmal Lokomotiven der Baureihe 112 eingesetzt. (Dabei handelt es sich um eine für die DDR-Reichsbahn entwickelte Lokomotive, die als erste DDR-Lok 160 km/h schnell war.) Die Toiletten „glänzten“ durch regelmäßige Ausfälle. Ein Zug brachte es sogar zu einem eigenen Zeitungs-Artikel, weil in diesem Zug alle Toiletten ausgefallen waren. Der Zug musste dann 20 Minuten im Emder Hauptbahnhof halten, damit sich die Fahrgäste in der Diensttoilette der Bahnsteigaufsicht erleichtern konnten.

    Für die S-Bahn Nürnberg lieferte Bombardier Talent 2-Triebwagen aus. Diese durften aber nicht eingesetzt werden und mussten ein ganzes Jahr auf Abstellgleisen herumstehen, weil sie keine Zulassung erhielten.

    Die Doppelstock-IC-Züge für die Linie Leipzig – Norddeich wurden mit mehreren Jahren Verspätung ausgeliefert. Sie waren anfangs so störanfällig, dass jede Fahrt mit diesen Zügen zum Lotteriespiel wurde. Ich erinnere mich noch genau an den Tag des Fahrplanwechsels, an dem die Züge zum ersten Mal eingesetzt wurden. Ich wollte so einen Zug testen, bin mit der ebenfalls neuen Westfalenbahn von Emden nach Leer gefahren und wollte die Rückreise mit dem IC 2 durchführen. Auf Gleis 4 stand tatsächlich ein IC 2, aber einer der eigentlich nach Leipzig hätte fahren sollen und liegengeblieben war – gleich am ersten Tag! Den IC 2 nach Norddeich hatte man unterwegs durch einen herkömmlichen einstöckigen IC ersetzen müssen. Immerhin bin ich wieder nach Hause gekommen. Als es mir dann doch einmal gelang, mit einem IC 2 zu reisen, zeigte das Display als Datum das Jahr 1923 an. (Ich habe nicht ausgerechnet, wie viele Stunden Verspätung der Zug hatte.) Die Fahrfähigkeit der Züge hat sich zwar verbessert, aber nicht funktionierende Displays und Reservierungsanzeigen sind bis heute nach wie vor an der Tagesordnung.

    Die zweite Bau Serie der IC 2-Züge wurde mit der Lokomotiv-Baureihe 147 ausgeliefert. Diese erwies sich als genauso störanfällig wie Jahre zuvor die 146.5 der ersten Serie. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn man bei Bombardier aus den Fehlern der ersten Serie etwas gelernt hätte. Die Züge sollten eigentlich auch von Stuttgart aus in die Schweiz fahren. Deshalb sind die Loks mit zusätzlichen Stromabnehmern für die Schweizer Oberleitung ausgestattet. Nur leider, leider haben die Züge bis heute keine Schweiz-Zulassung erhalten. Und sie ist auch nicht in Sicht. Das spricht Bände.

    Die Schweizer sind ohnehin leidgeprüft genug mit ihren eigenen Doppelstock-Intercitys von Bombardier. Für die hatte Bombardier zum schnelleren Durchfahren von Kurven extra eine „Wank-Kompensation“ entwickelt. Und nun raten Sie doch mal, was passierte! Richtig! Sie funktionierte nicht und ist bis heute nicht in Betrieb. Und es hat auch hier einige Jahre gedauert, bis die Züge wenigstens ohne Wank-Kompensation die gewünschte Zuverlässigkeit entwickelten.

    All diese Dinge kann die LNVG natürlich nicht wissen. Und wenn man wissenslos bestellt, dann wird man am Schluss eben „fassungslos“. So einfach ist das. Und wenn die Züge bis 2026 geliefert werden sollten, heißt das noch lange nicht, dass sie dann auch funktionieren. Vielleicht erreichen wir diesen Zustand im Jahr 2029.

    Ich hoffe, zumindest Ihre Überraschung ein wenig gemildert zu haben.

    Herzliche Grüße
    Elmar Werner

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